1. Einführung
Konflikte entstehen nicht „einfach so“. Hinter jeder Auseinandersetzung stecken bestimmte Auslöser und Dynamiken, die den Verlauf des Konflikts maßgeblich beeinflussen. Um Konflikte besser zu verstehen und frühzeitig eingreifen zu können, ist es wichtig, diese Ursachen zu erkennen und die typischen Muster der Eskalation zu verstehen.
2. Häufige Auslöser von Konflikten
Konflikte können aus einer Vielzahl von Gründen entstehen. Oft ist es nicht ein einzelner Faktor, sondern das Zusammenspiel mehrerer Ursachen.
a) Kommunikationsprobleme
Kommunikation ist der häufigste Auslöser von Konflikten. Missverständnisse, unklare Botschaften oder der falsche Ton können leicht Spannungen erzeugen.
- Missverständnisse: Unterschiedliche Interpretationen von Aussagen
- Fehlende Kommunikation: Wichtige Informationen werden nicht geteilt
- Unangemessener Tonfall: Ironie, Sarkasmus oder aggressive Sprache können provozieren
Beispiel:
In einem Chat schreibt jemand: „Ist ja mal wieder typisch für dich.“ – Der Tonfall ist unklar, der Empfänger fühlt sich angegriffen.
b) Unterschiedliche Erwartungen und Wahrnehmungen
Jeder Mensch hat individuelle Erwartungen an andere Menschen und Situationen. Wenn diese nicht erfüllt werden, kann Frustration entstehen.
- Ungesagte Erwartungen: „Ich dachte, das wäre doch selbstverständlich.“
- Verschiedene Perspektiven: Unterschiedliche Interpretationen derselben Situation
Beispiel:
In einer Gruppe erwartet Person A, dass alle pünktlich sind, während Person B eine lockere Einstellung zur Zeit hat. Dies führt zu Spannungen.
c) Machtverhältnisse und Rollenverteilungen
Konflikte entstehen oft, wenn es um Macht, Kontrolle oder Status geht. Das ist sowohl in der Schule, in der Familie als auch im Beruf relevant.
- Machtkämpfe: Wer hat das Sagen?
- Ungerechtigkeit: Das Gefühl, unfair behandelt zu werden
- Rollenunklarheiten: Wer ist für was verantwortlich?
Beispiel:
Ein Teammitglied übernimmt ständig die Führung, obwohl es offiziell keine Führungskraft ist. Andere fühlen sich übergangen.
d) Emotionale Auslöser
Emotionen wie Neid, Eifersucht, Frustration oder Angst sind starke Konfliktauslöser. Sie beeinflussen, wie wir Situationen bewerten und darauf reagieren.
- Unkontrollierte Wut: Spontane, emotionale Reaktionen
- Verletzte Gefühle: Nicht ernst genommen oder nicht wertgeschätzt zu werden
Beispiel:
Ein Freund vergisst einen wichtigen Termin. Die Enttäuschung führt zu Vorwürfen, obwohl es ein Versehen war.
3. Eskalationsstufen nach Friedrich Glasl
Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl hat ein Modell entwickelt, das beschreibt, wie Konflikte eskalieren. Er unterscheidet 9 Eskalationsstufen, die in drei Phasen eingeteilt werden:
🟢 Phase 1: Win-Win (Kooperation noch möglich)
-
Verhärtung:
- Erste Spannungen, unterschiedliche Meinungen prallen aufeinander.
- Der Konflikt ist spürbar, wird aber noch sachlich diskutiert.
- Beispiel: „Ich sehe das anders als du.“
-
Debatte und Polemik:
- Die Diskussion wird emotionaler, Standpunkte verhärten sich.
- Es geht zunehmend um das „Recht haben“.
- Beispiel: „Du verstehst einfach nicht, worum es geht!“
-
Taten statt Worte:
- Gespräche brechen ab, Handlungen dominieren (z.B. passiv-aggressives Verhalten).
- Kommunikation wird reduziert oder ganz vermieden.
- Beispiel: Jemand ignoriert den anderen demonstrativ.
🟠 Phase 2: Win-Lose (Kampf um den Sieg)
-
Images und Koalitionen:
- Die Konfliktparteien beginnen, Verbündete zu suchen („Wir gegen die“).
- Es werden negative Bilder des Gegners gezeichnet.
- Beispiel: „Der ist doch sowieso immer unzuverlässig.“
-
Gesichtsverlust:
- Persönliche Angriffe stehen im Vordergrund, es geht nicht mehr um die Sache.
- Das Ziel ist, den anderen bloßzustellen.
- Beispiel: In der Öffentlichkeit wird der andere absichtlich blamiert.
-
Drohstrategien:
- Drohungen und Erpressungsversuche treten auf.
- Das Machtgefälle wird bewusst genutzt.
- Beispiel: „Wenn du das machst, werde ich dich beim Chef melden.“
🔴 Phase 3: Lose-Lose (Zerstörung ohne Rücksicht auf Verluste)
-
Begrenzte Vernichtung:
- Der Schaden des Gegners wird wichtiger als der eigene Vorteil.
- Man nimmt bewusst in Kauf, sich selbst zu schaden.
- Beispiel: „Wenn ich das Projekt nicht bekomme, soll es niemand bekommen.“
-
Zersplitterung:
- Totale Zerstörung der Beziehung.
- Konfliktparteien verlieren das Ziel aus den Augen, es geht nur noch um Vernichtung.
- Beispiel: In einem Streit eskaliert es so sehr, dass Freundschaften oder Teams zerbrechen.
-
Gemeinsam in den Abgrund:
- Der Konflikt führt zur völligen Eskalation, z.B. durch Gewalt, Sabotage oder Rechtsstreitigkeiten.
- Niemand gewinnt, alle verlieren.
- Beispiel: Unternehmen gehen wegen interner Machtkämpfe zugrunde.
Wichtige Erkenntnis:
- Je früher ein Konflikt erkannt wird, desto leichter kann er gelöst werden.
- In den frühen Phasen reichen oft einfache Kommunikationsstrategien.
- In den späten Phasen sind oft Mediatoren oder externe Unterstützung notwendig.
4. Fallbeispiel: Eskalation eines Alltagskonflikts
Konflikt: „Das Missverständnis unter Freunden“
Ausgangssituation:
Anna und Lisa sind gute Freundinnen. Anna schreibt Lisa eine Nachricht:
„Hast du Zeit für mich? Ich brauche deine Hilfe.“
Lisa antwortet erst nach Stunden: „Sorry, war beschäftigt.“
Eskalationsverlauf nach Glasl:
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Verhärtung:
- Anna ist enttäuscht, weil Lisa nicht sofort geantwortet hat.
- Sie denkt: „Offenbar bin ich ihr nicht wichtig.“
-
Debatte:
- Anna spricht Lisa später an: „Du bist nie für mich da, wenn ich dich brauche.“
- Lisa fühlt sich ungerecht behandelt: „Das stimmt doch gar nicht!“
-
Taten statt Worte:
- Anna meldet sich einige Tage nicht mehr. Lisa ist verwirrt, meldet sich ebenfalls nicht.
-
Koalitionen:
- Anna erzählt einer gemeinsamen Freundin von Lisas „fehlender Verlässlichkeit“.
- Lisa fühlt sich angegriffen und holt sich ebenfalls Rückendeckung.
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Gesichtsverlust:
- Bei einem Gruppentreffen machen beide spitze Bemerkungen übereinander.
- Der Konflikt ist jetzt öffentlich.
-
Drohstrategien:
- Lisa droht: „Wenn du weiter so über mich redest, kannst du unsere Freundschaft vergessen.“
Analyse:
- Ursache: Ein harmloses Missverständnis in der Kommunikation.
- Dynamik: Durch unausgesprochene Emotionen und Interpretationen eskaliert der Konflikt.
- Lösung: Hätte Anna direkt nachgefragt („Ich war verletzt, dass du so spät geantwortet hast. War alles okay?“), wäre der Konflikt nicht eskaliert.
5. Reflexionsaufgaben
-
Eigene Erfahrungen:
- Erinnere dich an einen Konflikt, der eskaliert ist.
- In welcher Phase nach Glasl befand sich der Konflikt?
- Hätte man den Konflikt früher stoppen können?
-
Selbstreflexion:
- Wie reagierst du typischerweise in Konflikten?
- Suchst du schnell das Gespräch oder ziehst du dich zurück?
- Was könntest du tun, um Konflikte frühzeitig zu deeskalieren?
- Wie reagierst du typischerweise in Konflikten?
6. Zusammenfassung
- Konflikte entstehen oft durch Kommunikationsprobleme, unterschiedliche Erwartungen, Machtverhältnisse und emotionale Auslöser.
- Das Modell von Friedrich Glasl zeigt, wie Konflikte schrittweise eskalieren – von harmlosen Meinungsverschiedenheiten bis hin zu destruktiven Auseinandersetzungen.
- Frühe Intervention ist der Schlüssel zur Deeskalation. Je früher man den Konflikt anspricht, desto einfacher lässt er sich lösen.
Abschlussimpuls:
„Ein Konflikt beginnt oft mit einem Missverständnis – aber er eskaliert durch Schweigen.“ 🚀